Rezensionen und Artikel

Letzte Performance in der Reihe "NÖTIGE FABELTIERE IN NOT" vom 17.10.2023



Überregionaler WAZ-Zeitungsartikel vom 10.06.2020


Die amouröse Stadtschreiberin durchbricht die Kontaktsperre

Liebesbriefe von Zuhause, Überregionaler WAZ/NRZ-artikel vom 16.05.2020

Bewerber für einen Liebesbrief aus Künstlerinnenhand richten bitte eine E-Mail mit Ihrer Motivation und Ihrer Telefonnummer an: info.obyrnebrandl@t-online.de.

Je nach Aufkommen können wir nicht versprechen, dass alle Bitten erfüllt werden - aber das Ziel ist es.


Liebesbriefe aus der Bücherei

WAZ-Zeitungsartikel vom 17.02.2020


Liebesgrüße aus dem Einwohneramt

WAZ/NRZ Zeitungsartikel vom 10.07.2018

Download
Download des Zeitungsartikels aus der Sparte "Kultur & Freizeit"
Klicken Sie auf "Download", um den Artikel als PDF-Dokument herunterzuladen.
amouroese Stadtschreiberin WAZ 10072018.
Adobe Acrobat Dokument 3.1 MB


Zwischen den Stühlen: liegend

Jörg Loskill, Kunsthistoriker & Publizist

 

Über die Performance-Arbeiten von Marie-Luise O´Byrne-Brandl seit 1998

 

Kein Theater und keine bildende Kunst, kein stehendes Bild und kein Film. Oder doch: Bühne und Show, Szene und Raum, Zeit und filmischer Ablauf – grenzüberschreitend. Die „Performance“, seit Joseph Beuys´ und Nam June Paiks Zeiten ein fester Kulturbegriff in den USA ebenso wie in den europäischen Kunstzentren, hat sich längst verselbständigt als Genre. Und zu denen, die auf diesen „Trip“ so ernsthaft wie leise lächelnd, so neugierig und fragend wie selbstbewusst gegangen ist, zählt seit rund 20 Jahren Marie-Luise O´Byrne-Brandl aus Oberhausen.

 

Als Engel, als Mutter, als Seherin, als Sucherin, als herumwandernder Ahasver, als Kohlenbürsterin, als Lebensretterin, als Rosen-Näherin, als Schläferin, als Naturschützerin, als Altarfigur, als Tannenbaumpflegerin, als Beichten-Formuliererin, als Menschenskind, als Sängerin, als Traumwandlerin, als Hoffende und Betende, als Objekt gewordenes Sehnsuchtsgefühl, als kluge oder auch sinnliche Moderatorin zwischen den Wirklichkeiten einer einzelnen Vorstellung. Jede Performance zeigt sie in einer anderen Figur zwischen Ritual und Symbol, zwischen Aktion und Allegorie, zwischen Bild und Bühne. Marie-Luise O´Byrne-Brandl taucht in jeder Performance ein in eine Zwischenwelt der Wunder und der Ratio, der Magie und der Märchen, des Spirituellen und des Haptischen. Für ihre individuelle Emotionspalette baut sie sensible Orte des beredten Schweigens und des stillen Gesanges. Die Kommunikation ihrer Präsentationen - in Kirchen, in der Theaterbar, in Kulturzentren, im sommerlichen Freibad, in Museen, aber sogar auch in unwirtlichen Stätten – läuft über eine nonverbale Schiene. Die Künstlerin erreicht das jeweilige Auditorium über Form, Inhalt, Thema, Motiv, ohne jede Geste oder jede Hinwendung an und für andere zu erklären oder in eine bestimmte, gewünschte Richtung zu lenken. Die theatralische und ästhetische Offenheit des „homo ludens“ ist bei ihr konzeptionelles, psychisches und handelndes Prinzip.

 

Vor zwei Jahrzehnten entschied sich die Künstlerin, dieses schwierige Terrain der anspruchsvollen, zuweilen auch rätselhaften „Alleinunterhalterin“ zu bespielen. Sie sorgte durchaus für Irritation und Fragen, für schwieriges Mitdenken und gewisse Provokation. Das alles geschieht jedoch, um Klärungen herbeizuführen, um thematisch Stellung zu beziehen, um gelähmte Gehirne frei zu pusten, um Denkprozesse in Gang zu setzen. Unermüdlich schlüpft Marie-Luise O´Byrne-Brandl in Rollen und soziale Muster, in historische Figuren und zeit-Typen, in erotische Verwandlung und in zwischenmenschliche Verfremdung: Sie zitiert in jeder ihrer inzwischen über 25 Performances menschliche Traumata und psychologische Grenzfälle, antik-archaische Relikte und innovative Welterfahrung. Ganz subjektiv, ganz überraschend neu, ganz einsilbig im technischen Vokabular, ganz bewusst als Grenzerfahrung.

 

Ob beim Projekt „Dem Strukturwandel steht das Wasser bis zum Hals“ oder bei „Gedächtniskulturen bedauern“, bei „Der entschleunigte Versuch“ oder bei „Beichte paradox“, bei „In der Kinderstube von Beuys“ oder bei „Amouröse Stadtschreiberin“ u.a. – in all diesen erfolgreichen Aktionen mit vielen Zuschauern/Gästen befragt sie mit mythisch-mystischer Erkundungsbeharrlichkeit die menschlichen Werte und die zu beobachtenden Verfallserscheinungen im heutigen Medien- und Digitalzeitalter. Sie lässt nicht locker, um ihre zuweilen frechen, entlarvenden, schmerzlichen oder koketten Fragestellungen an das Publikum zu tragen, dabei Fassaden niederzureißen oder neue Denkfelder (zunächst nur für sich!) zu entdecken. Sie steht im andauernden Dialog zwischen dem Ich und der sozialen und erduldeten Umwelt. Nichts ist ihr fremd, nichts will sie vorenthalten, nichts will sie wegspielen. Tabu-Themen wie Gesundheit, Tod, Urin, Bosheit, Angst, Leid, Seelenchaos usw. behandelt sie in ihren Performances wie das „tägliche Brot“, das sie nährt. Sie will stören und verstören. Um Gedankenwege frei zu legen, um neue Erkenntnisse für das „Selbst“ zu erkämpfen, um mit der Außenwelt ins nonverbale Gespräch zu kommen. Sie erschafft dafür eine eigene Sprache, eine eigene Bilderkombination, eine Parallelstation, einen Bahnhof für Spuren, die auch mal ins Niemandsland führen können…

 

Über (fast) allen poetischen Inszenierungen von Marie-Luise O´Byrne-Brandl, frühere Schülerin von Prof. Udo Scheel (Dekan der Kunstakademie Münster), liegt ein melancholischer Schleier. Nicht, dass sie damit ausweichen will in eine emotionsgetränkte Weite im flackernden Dämmerlicht. Sondern darin verbirgt sich ihr lyrisches Wesen, ihr literarischer Charakter, ihr gemäßigtes Temperament, ihre künstlerische Perspektive oder auch ihre zurückhaltend artikulierte Wehmut über die Lebensbedingungen mit ihren kleinen oder großen Enttäuschungen und mit ihren aus dem Zufall (oder einer göttlichen Fügung?) geborenen Überraschungen. Man könnte sich vorstellen, dass sie ihre künstlerisch-kreativen Wurzeln in der deutschen Romantik ansiedelt. Auch diese Epoche verschleierte die Dramatik der individuellen Unzufriedenheit am gesellschaftlichen Zustand. Die Menschen suchten einen neuen Anfang für sich…

 

Wer ist für Marie-Luise O´Byrne-Brandl ein nahestehender Performance-Künstler ihrer Gegenwart? Weniger Nam June Paik, weniger Bruce Nauman. Sie sahen das Statuarische im Zentrum ihrer szenischen Überlegungen. Auch nicht Otto Muehl mit seinen martialischen Blut-Show-Orgien. Stattdessen könnte Christof Schlingensief ein Pate für ihren Werdegang, ihre eigenwilligen Projekte, ihr Aufgewühltsein über die Gefährdung humanistischer oder auch humanitärer Wertvorstellungen sein. Auch er mischte sich in aktuelle Themen ein, „spielte“ Minimal-Theater im Performance-Format. Oder auch Rosemarie Trockel in ihren asketischen Positionen. Aber man muss ja nicht bei der Parallelsichtung fündig werden. Die Oberhausenerin geht ihren Weg – unverdrossen, mutig, ambitioniert, differenziert und träumerisch. Je nach Motiv und Konzept ihres inneren Antriebs. Sie bleibt ihrer Themenpalette seit Jahren treu: Humanität, Nähe, Zuwendung, Endlichkeit. Diese Begriffskette verknüpft sie zu ihren Poesie-Alben der theatralischen Art.

 

Das bestätigt sie auch in einem für sie typischen Satz: „Durch experimentelle Wagnisse Innovationen in einer von Menschen bewohnbaren Welt zu schaffen – das ist mein Streben.“ Sie fühle sich keiner historisch legitimierten Kunstrichtung verpflichtet. Nur ein „Vor-Bild“ lässt sie gelten: Joseph Beuys mit seinem „erweiterten Kunstbegriff“ und seinen Aktionen zwischen Fluxus und Performance, zwischen Ritual und Symbol, zwischen Fest und Nachdenklichkeit, zwischen Geschichte und Gegenwart. Der Künstler als Moderator eines neuen Lebens(-wert-)gefühls: Das könnte auch ihr Anspruch sein. Sie will, sie muss „sichtbarer Teil ihres künstlerischen Schaffens sein“.

 

Was nicht bedeutet, dass sie sich als Malerin verabschiedet hat. Nein, sie malt weiterhin, meist großformatige Acrylbilder, in denen sie die Performance-Stimmungen in einen „Rahmen“ einpasst.

 

Neue Performances? Ja, bestimmt. Jede aktuelle, spontane, zufällige Begegnung – auf der Straße, im Bahnhof, im Theater, in privater Atmosphäre – löst bei ihr ein psychologisches Assoziationsdrama aus. Sie nennt bereits ein Thema, an dem sie arbeitet: „Spoiling Ai Weiwei“.Man darf also gespannt sein, wie es bei ihren Kreationen nach 20 Jahren weitergeht. Die Produktion entspringt ihrer Seele. Mit ihrem aufklärerischen Schaffen sitzt sie zwischen (fast) allen Stühlen. Falsch: sie „liegt“ dazwischen. Das ist ihr ironischer Kommentar zur rauen, verrohten Welt „da draußen“.

 


Entschleunigte Liebesdienste

Dr.Christine Vogt, Direktorin der LUDWIGGALERIE Schloss Oberhausen

 

In einem ungewöhnlich stringenten Weg verfolgt die Oberhausenerin Marie-Luise O’Byrne-Brandl ihre performative Arbeit. Seit Mitte der 1990er Jahre führt sie regelmäßig Performances durch. Der öffentliche Raum, wie der Bahnhofsvorplatz oder ein Freibad, können die Folie für die Umsetzung bilden. Bevorzugt wird aber die Anbindung an kulturelle Räume, wie das Theater, Burg Vondern oder die LUDWIGGALERIE. Am Anfang ihrer Arbeit geht O’Byrne-Brandl noch in andere Städte wie Düsseldorf oder Berlin. Schnell entscheidet sie sich für die selbstgewählte Konzentration auf ihre Heimatstadt. Nicht selten ist es die Kunst selbst, die im Mittelpunkt ihres Interesses steht. 1998 führt sie im Rahmen der Ausstellung Künstler der Region ihre Performance Liebesdienst durch. Hier begleitet sie ihre Bilder ins Museum, baut ihr Bett dort auf, schläft bei ihnen, leistet ihnen Gesellschaft. Wie man Kinder in einer fremden Umgebung besonders umsorgt, erweist Marie-Luise O’Byrne-Brandl ihren Bildern den Liebesdienst. Die Frage nach den Orten der Kunst wird hier gestellt, ist das Museum ein „kalter Ort“ für Kunst oder können die Werke sich im Museum besonders wohl fühlen.

 

Das Umhegen und Umsorgen ist auch in zahlreichen anderen Arbeiten zentraler Ansatzpunkt. In oft mutigen und bis an die körperlichen Grenzen gehenden Aktionen nähert O’Byrne-Brandl sich dem Themenkreis an. Eine der vielleicht spektakulärsten Umsetzungen ist Die Greisin stillen. Poesie der Menschlichkeit, die 1999 in einem Altenheim in Oberhausen durchgeführt wird. Angeregt durch die Geschichte der Bürger von Calais, die der Legende nach während der aussichtslosen Gefangenschaft und Belagerung von einer Mitgefangenen gestillt und damit vor dem Hungertod gerettet werden, hält sie eine 93-jährige Frau im Arm und gibt ihr die Brust. Das Moment der Nähe und des Lebenspendens scheinen hier ebenso auf, wie der Tabubruch von Sinnlichkeit und Alter. Das Aufhalten oder nur das Innehalten der Vergänglichkeit, der alte und in der Kunst immer wieder verfolgte Gedanke der Vanitas, kommen ebenfalls hinzu. Zeit spielt in den meisten Performances in Form von Entschleunigung eine zentrale Rolle. Das Stillen der Greisin dauerte über eine Stunde.

 

Neben der Zeit ist es auch der Ortsbezug, der ihre Arbeiten prägt. Die seit den 1990er Jahren immer stärker um sich greifende Veränderung der Region durch das Schließen der Zechen und Bergwerke spiegelt sich in Dem Strukturwandel steht das Wasser bis zum Hals. Kohle waschen. Im Freibad Alsbachtal in Oberhausen durchgeführt, wäscht die Künstlerin, wie meist in ein sakrales weißes Gewand gekleidet, zehn Säcke Kohle. Die zwei Stunden dauernde Aktion wird von einem Bergmannschor begleitet, der typische Lieder singt. Da dies bei laufendem Freibadbetrieb geschieht, ist auch für eine – nicht immer freiwillige – Öffentlichkeit gesorgt.

 

Erst nach offizieller Einladung kann sie ihre Performance vor dem Kulturausschuss der Stadt Oberhausen im Jahr 2005 durchführen. Unter der Überschrift Innovative Kunst kann das Leben versüßen. Ich will Kunst vor der Domestikation bewahren beschriftet O’Byrne-Brandl während der, wie üblich durchgeführten Kulturausschusssitzung Briefumschläge und bestückt diese mit feierlich gebrochener Schokolade und einer schriftlichen Aufforderung an die LokalpolitikerInnen die Kunst vor der Domestikation zu bewahren. Zum Abschluss der Sitzung werden die Umschläge verteilt. So wird jedes Ausschussmitglied auch Teil der Performance und gelangt in den Besitz eines Reliktes der Aktion, eines Kunstwerkes. Während die Künstlerin immer selber Teil der Performance ist, bezieht sie in ihren Arbeiten häufig auch das Publikum mit ein. Der erweitere Kunstbegriff eines Joseph Beuys liegt ihr dabei am Herzen, ebenso wie die Idee der sozialen Plastik. Wie nah ihr der Niederrheiner ist, zeigt auch die 2016 im Stadttheater Oberhausen mit Unterstützung des Schauspielers Peter Waros durchgeführte Performance In der Kinderstube der Familie Beuys. Zahlreiche Anspielungen auf die für Beuys typischen Materialen wie Filz und Fett, aber auch auf seine eigenen, oft bis an die Grenzen gehenden Aktionen, fließen mit ein. Das zur Ikone gewordene goldene Gesicht bei Beuys nicht unumstrittener Aktion Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt, die 1965 in der Düsseldorfer Galerie Schmela stattfand, hält unter anderem Einzug in die Umsetzung. Auch hier hatte Beuys ja auf den Kunstbetrieb reagiert, indem er das Publikum erst nach Stunden in die Galerie hinein ließ und eben dem toten Hasen jedes einzelne Kunstwerk erklärte. Ironie und das sich Kümmern um eine Kreatur gehen bei Beuys Hand in Hand.

 

Das Moment des Kümmerns scheint schon in der frühen Performance Liebesdienste auf und findet bei O’Byrne-Brandl seinen vorläufigen Höhepunkt in Die geschundene Natur heilen 2014. Ein sterbender und bereits an vielen Stellen abgestorbener ehemaliger Weihnachtsbaum wird von ihr umsorgt und versorgt. Sie legt ihm liebevoll Mullbinden an und versucht ihn trotz aussichtsloser Realität zu verarzten. Der müde Engel, der nichts mehr ausrichten kann um das Leben zu retten, legt ihr schließlich den müden Kopf in den Schoß. Natur und Kreatur gilt es ihr zu pflegen und zu beschützen, ein Aufruf zum achtsamen Umgang mit der uns umgebenden Natur. So sind die Arbeiten von Marie-Luise O’Byrne-Brandl an vielen Stellen auch politisch, die Künstlerin bezieht Stellung und äußert sich zu Missständen und Umbrüchen.

 

Auch vor der Kirche macht sie nicht Halt und bringt 2008 bei Beichte Paradox eines der Sakramente mit erotischen Phantasien zusammen. Für heutige Einstellungen kaum zu glauben, doch beichteten die Menschen früher tatsächlich unkeusche Gedanken. O’Byrne-Brandl fordert die Teilnehmenden in der Markuskirche in Oberhausen explizit dazu auf, ihr drei Worte ihrer erotischen Phantasien zu nennen. Aus diesen formuliert sie dann selber eine fiktive Beichte. Ein kritisches Hinterfragen katholischer Praxis findet hier statt, gewürzt mit einer Prise Voyeurismus, die auch dem, die Beichte abnehmenden Pfarrer oft unterstellt wurde. Solche, in die Gesellschaft, wie ins Private hineinreichenden Aktionen haben auch die Künstlerinnen des Wiener Aktionismus durchgeführt. Eine feministische Konnotation der Aktionen, wie man sie bei Valie Export und ihren Mitstreiterinnen immer findet, zeichnet auch eine solche Arbeit aus. Bis heute darf keine Frau die Beichte abnehmen.

 

Und auch bei Housework inside out upside down, die im Rahmen der Ausstellung At home in der LUDWIGGALERIE stattfindet, wird auf das Frau sein und das Rollenverhalten angespielt. Spätestens wenn die altbackenen weißen Baumwollschlüpfer gelocht und abgeheftet werden kann der Gedanke an das „andere Altern“ von Frauen gegenüber Männern wohl nicht mehr verdrängt werden.

 

Aber auch Momente der Geschichte interessieren die Performerin. In Gedächtniskulturen bedauern. Stammbaum verbindet von 2013 nähert O’Byrne-Brandl sich ihrer Vorfahrin Johanna Sebus an, die bei einem Deichbruch am Niederrhein ihre Mutter rettet und beim nächsten Rettungsversuch selber ertrinkt. Ebenso trägt die Amouröse Stadtschreiberin das historische Element bereits im Namen. Diese bisher einzige Aktion, die mehrmals durchgeführt werden kann, hat nun schon zahlreiche Menschen mit solchen Liebesbriefen beglückt. Der Titel des Stadtschreibers war früher ein wichtiges Amt und wurde natürlich fast ausschließlich von Männern ausgeübt.

 

Und schließlich stellt auch die Aktion Seelenarbeit die Frage nach Männlichkeit und Weiblichkeit. Mit schwarzem Bart ausgestattet, werden sofort Assoziationen an die Grand Prix-Gewinnerin Conchita Wurst wach. Drei Bücher werden mit dem berühmten roten Faden vernäht und der von Albert Einstein 1930 geäußerte Satz: „Das Schönste, was wir erleben können, ist das Geheimnisvolle“ begleitet die Performerin.

 

Die Performance als eine der vergänglichsten Formen künstlerischen Schaffens besteht schon im Kopf und in der Planung, bevor sie überhaupt umgesetzt worden ist. So wird Marie-Luise O’Byrne-Brandl in der Ausstellung der LUDWIGGALERIE Let’s buy it! Kunst und Einkauf von Albrecht Dürer über Andy Warhol bis Gerhard Richter unter dem Titel Entschleunigte Genauigkeit sich mit dem Erbsenzählen und der Frage des Einkaufes und Besitzes beschäftigen. Dass durch die Verlangsamung bei all ihren Aktionen auch immer eine Kritik an der immer schnellerlebigen Gesellschaft mitschwingt, ist schon fast banal. Der Hektik des Einkaufs wird der meditative Akt des Zählens entgegengesetzt.

 

Den Performances von Marie-Luise O’Byrne-Brandl ist neben großer Komplexität Lebensnähe zu eigen. Gesellschaftsrelevante, ebenso wie sehr persönliche Inhalte schwingen an vielen Stellen mit. Genderfragen und Tabubrüche, Grenzbefragungen und zu Diensten sein sind zentrale Elemente. O’Byrne-Brandl hat eine erstaunlich eigenständige Ausdrucksform für ihre Performances gefunden, die zum einen einen hohen Wiedererkennungswert haben und zum anderen jede Aktion zu einem einmaligen und individuellen Projekt machen. In großer Stringenz und erstaunlicher Konsequenz hat sich hier über die Jahre ein, noch viel zu wenig wahrgenommenes, eigenwilliges Werk entwickeln können.